Patriarchy Hate Myself 2023
- Malte
- 3. Nov. 2023
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Nov. 2023
oder Mein Problem mit dem Patriarchat
Das Monster im Schrank und das Kind im Bett
Ich gehe nach einem schönen Abend bei Freunden nach Hause. Es wird langsam, aber merklich Winter. Die Sonne verabschiedet sich früh, viel zu früh, und räumt die Straßen für die Dunkelheit der letzten Monate des Jahres. Berlin wird kalt, grau und einsam. Der Bus hat mich gerade ein paar Straßen entfernt von Daheim abgesetzt und ich laufe zügig den recht leeren Bürgersteig entlang, welcher sporadisch von dem Licht der Laternen befleckt ist. Ich meine mal gelesen zu haben, dass wir Menschen ungefähr 10% schneller gehen, wenn es dunkel ist. Daran denke ich immer in Momenten wie diesen. Die Angst treibt uns voran. Der Drang, schnell von den dunklen Straßen in die sichere Wohnung zu kommen. Kapuze auf, den Reißverschluss der Jacke ganz nach oben ziehen und die Hände tief in den Taschen vergraben. Niemanden anschauen, einfach geradeaus mit festen Schritten. Und genau so laufe auch ich. Spüre das Unbehagen, wenn ich an Menschengruppen vorbeiziehe. Bete in mich hinein, dass niemand mich anspricht, auch wenn diese Person nur nach dem Weg fragen möchte. Ich bin das Kind im Bett. Im dunklen Zimmer. Die Schranktür steht einen Spalt offen, aber ich will nicht um Hilfe rufen, weil das Monster im Schrank ist doch nur eine Illusion in meinem Kopf. Oder? Ich bin 1,90m groß. Wenn ich nachts draußen herumlaufe, dann mache ich meine Schultern so breit es geht. Ich mache mich groß. In der Tierwelt ist das ein Abwehrmechanismus. Einer von vielen. Aber einer, mit dem ich mich sicherer fühle. Doch mir ist schmerzhaft bewusst, was dies auch bedeutet. Ich wirke gefährlicher. Nicht nur denen gegenüber, die ich fürchte, sondern auch denen, die nun mich fürchten. Ich bin groß, breit, so vermummt wie möglich, mit schnellen und festen Schritten unterwegs. Ich bin das Monster im Schrank. Mich gibt es nicht, aber man hat Angst vor mir. Und ich glaube die größte Angst vor mir habe ich selbst. Darum wechsle ich die Straßenseite, wenn ich nachts hinter jemandem laufe. Nicht aus der Angst vor dieser Person, sondern weil ich so sehr verinnerlicht habe, wie ich auf andere wirken kann. Das Profil von Personen denen ich ausweiche hat sich in meinen Kopf gebrannt. Laute Gruppen, rauchende und trinkende Individuen, kräftige und selbstbewusste Gestalten. Und so habe ich mich zu meinem Schutz angepasst und schlüpfe immer wieder in die Rolle des Monsters, um das zitternde Kind in mir in Sicherheit zu bringen. Ich wechsle die Straßenseite, weil ich denke, dass ich von anderen als Gefahr gesehen werde. Weil das Kind davor Angst hätte. Vor diesem dunklen, großen Monster, das hinter mir stapft. Leider gibt es noch ein letztes Profil dieser unbehaglichen Gestalten auf den dunklen Straßen, und mit dem kämpfe ich noch immer: Männer.
Gesellschaft
In der Gesellschaft, in der ich aufgewachsen bin, galten bestimmte Regeln. Sie wurden mir nie erklärt und in der Schule musste ich sie auch nicht lernen. Sie waren einfach da. In den Comics meiner Kindheit gingen die Männer auf Abenteuer und ihre Frauen blieben daheim. Oder sie waren Prinzessinnen, die sehnlichst auf die Rettung von (und auch vor) Männern warteten. Es drehte sich so oft alles um den Mann. Um das traditionelle Bild einer Familie, wie schon in den Bilderbüchern im Kindergarten und den ersten Mathe- und Deutschbüchern in der Grundschule gezeigt wurde. Familie mit Mann und Frau und zwei Kindern machen einen Ausflug, klappe den Apfelbaum auf und schaue, was sich dahinter versteckt. (Hinweis: keine Giraffe). Kind backt einen Kuchen für Papa und Mama, wie viele Eier braucht es dafür? (Hinweis: weniger als 10). Schreibe auf, was du an Papa und Mama so toll findest. (Hinweis: Papa ist stark und selten zuhause, Mama ist lieb und kocht gut). Als ich jung war, habe ich das nie hinterfragt. Warum auch? Wenn ich die Optionen nicht kenne, kann ich auch nichts vermissen. Aber dazu später mehr.
Je älter ich wurde, desto mehr verstand ich, wie die Welt funktioniert. Männer in Führungspositionen in Jobs. Männer in Führungspositionen in Beziehungen. Männer als das laute Geschlecht und Frauen als das zurückhaltende Geschlecht.
Und ja, ich spreche hier binär von Männern und Frauen, weil ich echt lange keine einzige bewusste Berührung mit dem Spektrum von Geschlecht, Trans und nichtbinären Identitäten hatte. Aber auch dazu gleich mehr.
Die in den Comics und Lehrbüchern meiner Jugend gezeichneten Geschichten wurden fortgeführt.
Mir wurden Themen wie Gewalt, Macht und soziale Strukturen immer bewusster, aber noch nicht der gesamte Umfang und das enorme Gewicht.
Ich sah wie sehr die Welt von dem männlichen Geschlecht dominiert wurde und ich wusste, wie ich selbst wahrgenommen wurde: Als Mann. Als... dominantes Wesen? Aber das war ich doch gar nicht. Ganz und gar nicht.
Und da fing dieser innere Konflikt an.
Geschlecht
Ich bin als Mann geboren. Bin als Mann aufgewachsen. War als Mann in der Schule, in der Uni, auf Arbeit, für meine Freunde und Familie da. Und dies ist keine Geschichte darüber, dass ich fühle das falsche Geschlecht zu haben, transitionieren möchte oder mein Geschlecht als nicht-binär sehe. Keines davon. Es geht mir hier darum, den Begriff 'Mann' für mich zu definieren und Klarheit zu finden, warum ich mich die letzten Jahre immer von dem gesellschaftlichen Bild eines (deutschen) Mannes distanziert habe. Immer wieder beschrieb ich mich als "nicht-cis-Mann", auch weil ich lange keinen besseren Begriff fand. Ich wollte nicht in die selbe Schublade gesteckt werden, wie jene Männer (Verallgemeinerungen folgen), die Bier trinkend Fussball schauen, grölen, laut sind. Jene, die zu Frauen "Lass mich mal machen" sagen, wenn es um Handwerk oder Technik geht und "Mach du mal", geht es um Kinder oder das Kochen. Jene Männer mit gehobenem Zeigefinger. Jene Männer, die andere Männer in "echte Männer" und nun ja... die unechten Männer einteilen. Und wenn es diese Einteilung gibt, dann bin ich lieber kein echter Mann und distanziere mich von diesem Bild, in dem ich mich nicht sehen kann. Über die Jahre, von Grundschule zum Gymnasium zur Universität hin, merkte ich immer mehr, wie mein soziales Umfeld deutlich mehr aus Frauen bestand. In diesen Freundschaften fühlte ich mich deutlich wohler, verstandener und musste mich nicht Männergruppen und deren Umgangsarten anpassen, in die ich meinem Kopf einfach nicht reinpasste. Als ich vor einigen Jahren die Polyamorie und alsbald einen internationalen und queeren Freundeskreis fand, änderte sich vieles. (Kurze Beschwerde: Ich finde es bezeichnend, dass 'Polyamorie' und 'queeren' mit einer roten Linie unterstrichen sind, weil das Schreibprogramm diese Worte nicht kennen mag.) Ich lernte viele wundervolle Menschen kennen, die Geschlechternormen brachen und lernte von ihnen. Außerdem lernte ich in dieser Umgebung, dass ich auch anders wahrgenommen werden kann, als ausschließlich kategorisch als Mann. Ich wurde von manchen Menschen als nicht-binär gelesen. Ich wurde gefragt welche Pronomen ich benutze. Mir wurde zugehört, als ich erzählt habe, was Geschlecht für mich bedeutet. Vor allem habe ich erzählt, dass ich genau das nicht weiß, aber froh bin mich von dem Begriff 'Mann' fernzuhalten, der so stark belastet ist. Und diese Belastung habe ich in dieser Community noch stärker gespürt. Männer als Feindbild einer queeren Bewegung. Männer als potenzielle Unruhestifter, die man im Auge behalten sollte. Männer als die Monster im Schrank. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den wohligen und nicht-deskriptiven Begriff 'Queer' adoptiert, um mich in Geschlecht und Sexualität zu beschreiben. Queer stand für alles und für nichts. Es war deskriptiv genug, dass in bestimmten Kreisen keine weiteren Fragen kamen und allgemein genug, dass ich dachte, ich könnte meine Genderfrage damit erstmal entspannt beiseite legen. Es war eine Positionierung, inklusive meiner Distanzierung von dem männlichen Bild, die keine großen Verpflichtungen mit sich brachte. Jedenfalls innerhalb dieses Freundeskreises. Doch am Ende holte er mich doch. Internalisiert, gefürchtet, projiziert und verbreitet: Der Hass. Hass Ich bin ein Mann. Und ob ich mich jetzt davon distanziere, was andere Männer machen, hält andere Menschen immer noch nicht davon ab mich ebenso in diese Schublade zu stecken. Und auch wenn ich ab und an mal Röcke und Kleider trage, weil ich es unsinnig finde, dass Kleidung gegendert ist. Und auch, wenn ich mir meine Nägel lackiere und mit Glitzer ins Gesicht schmiere, weil ich Lust drauf habe. Und auch wenn mir Freunde sagen "Aber du bist einer von den Guten" oder "Aber du bist doch gar kein 'Mann'". Ich kann den Hass nicht stoppen. Er brodelt um mich herum. Er brodelt in mir drin. Das Grundmisstrauen, die Distanzierung, das wieder einmal binäre Einteilen in Gut und Böse habe ich alles aufgesogen, ausgelebt und fürchte es. Ich fühle mich in einer Rolle als Jäger und Gejagter gleichzeitig. Als Monster im Bett und Kind im Schrank. Als Gehasster und der, der diesen Hass in sich trägt. Meine größte Angst ist es, einen Fehler zu machen und dass mir darauf mein männliches Geschlecht als Grund für mein schändliches Handeln an den Kopf geworfen wird. Ich möchte für meine Fehler als Mensch Verantwortung tragen, aber habe das Gefühl, dass ich mich manchmal hinter einem riesigen Schild, auf dem QUEER! steht, verstecke, um der Verantwortung und der Schuld zu entkommen, die ich trage, wenn ich mich als Mann sehe und daran denke, wie untragbar diese Last des Machtmissbrauchs, der Verbrechen, der Unterdrückung und der Gewalt ist, die dieses Geschlecht mit sich bringt. Ich hasse mich dafür, dass ich Angst habe, eines dieser Monster zu sein. Ich hasse mich dafür, wie feige ich bin. Ich hasse es, dass ich mich eher davon distanziere ein Mann zu sein, als dass ich einer bin, der diesen Stigmen trotzt. Und was mache ich jetzt damit? Vielleicht will ich ja auch gar kein Mann in diesem Sinne sein. Aktuell fühle ich mich wohl als formloses, anpassungsfähiges Wesen. Vielleicht finde ich Frieden in diesem Konflikt und kann mich klar positionieren, ohne dass ich zwischen den Fronten von innen zerrissen werde. Meine Privilegien liegen vor mir aus, aber ich möchte sie in Glitzer und Strumpfhosen ersticken. Ich wünsche wie so viele Menschen, dass das Patriarchat endlich zusammenbricht und Platz macht für eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der das Geschlecht nicht dominiert. Aber ich hoffe, dass diese Revolution mit Liebe geführt wird und nicht mit Hass. Und ich meine damit nicht, dass wir ganz brav unsere Revolutionsgedichte schreiben sollen und dabei zuschauen, wie die Politik viel verspricht und dann nichts ändert. Ich meine lediglich, dass man Türen auch mit Liebe eintreten kann. Epilog: Sexualität Ich möchte mit einem Gedanken abschließen, der aus diesem Chaos, dem Hass und der Liebe, dem Abenteuer durch Gesellschaft und Geschlecht, entstanden ist: Queer Sex ist großartig! Selten habe ich in diesem Maße gespürt wie Fesseln von mir abfallen, als traditionelle Geschlechterrollen nicht mehr mit mir und anderen wundervollen Menschen ins Bett gekommen sind. Das Verschwinden von Mann und Frau. Stetiges neu definieren und erkunden von Rollen, in die wir schlüpfen, sie ausleben und wieder abstreifen wie sexy Unterwäsche. Die Freiheit der Improvisation. Das eigene Spiel ausweiten oder kürzen, ohne einem über Jahrhunderte ewig neu aufgeblättertem Regiebuch zu folgen. Ohne Scham über Scham reden. Fragen. Erzählen. Zuhören. Sex fühlt sich queer so viel unbeschwerter an. So unbeschwert, dass ich Probleme mit heteronormativem Sex habe, bei dem ich in diese Männerrolle gesteckt werde, aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.
Commentaires