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Der verschwundene Garten

  • Autorenbild: Malte
    Malte
  • 6. März 2021
  • 5 Min. Lesezeit

In einem Königinnenreich hinter den drei höchsten Bergen des Landes lag ein gläsernes Schloss. Und inmitten dieses Schlosses, umringt von Türmen und Mauern lag da ein kleiner Garten. Die Sträucher, Büsche und Bäume blühten leuchtend grün um die Wiese, die Holzbänke und den goldenen Pavillon herum. Tagein, tagaus trafen sich dort Prinzessinnen für ein Picknick im Sonnenschein. Kinder spielten mit Bällen, Seilen und Reifen und auch die Herrscherinnen des Landes trafen sich dort zu einem Spaziergang um wichtige Entscheidungen zu besprechen. Es war ein wahrlich magischer Garten, der von allen Bewohnerinnen des Königinnenreiches bewundert wurde, wenn auch manche ihn nur durch die gläsernen Mauern des Schlosses betrachten konnten. Dieses wunderschöne Stück Natur war vor allem der tüchtigen Arbeit der Gärtnerinnen und Gärtnern geschuldet, die sich um jede einzelne Pflanze kümmerten, als wäre sie ihr eigenes Kind.

Doch eines Tages wachten die Bewohnerinnen des Schlosses auf wie an einem jeden Morgen. Sie wuschen sich und streckten ihre müden Körper und ihnen wurde herrlich duftender Tee gebracht wie an einem jeden Morgen. Und dann machten sie sich bereit für einen Spaziergang durch den Schlossgarten, doch als sie durch die gläsernen Tore blickten, war dort nichts.

Es war kein Garten mehr zu sehen. Er war wie verschwunden. Stattdessen leuchtete und funkelte dort nur ein grelles Licht, dass den ganzen Innenhof bedeckte. In dem Schloss brach eine Unruhe aus und viele Rufe, ob dies ein Angriff sei oder ein Fluch. Schnell bildete sich ein Mob, der dem Zauberer in den Bergen die Schuld zuschrieb, dass er den Garten doch weggezaubert hätte, um den Königinnen eins auszuwischen. Am nächsten Morgen machte sich eine Gruppe an wütenden Menschen auf in Richtung der Berge zu der Hütte des Zauberers. Nach einem langen und erschöpfenden Marsch kamen sie an, aber hatten immer noch genug Energie um dem Zauberer voller Zorn ihre Anschuldigungen an den Kopf zu werfen. Sie forderten ihren Garten zurück, aber sofort. Ansonsten, so drohten sie ihm, würden sie seinen Kessel den Berg herunterschubsen, dass er nur so Beulen und Kratzer bekommen würde. Doch bevor der Zauberer überhaupt die Zeit hatte das Wort zu erheben, da kam ein Bote aus dem Schloss angeritten und rief laut jauchzend, dass der Garten wieder da sei. Mit großem Jubel, aber auch ein paar kleinlauten Entschuldigungen zog die Menschenmenge wieder zurück in das gläserne Schloss und spielten im Garten, als ob nie etwas gewesen sei.

Einhundert Jahre später war das Königinnenreich prächtig wie eh und je und auch das gläserne Schloss glänzte wie all die Jahre zuvor. Auch an diesem Morgen streckten sich die Bewohnerinnen des Schlosses und kuschelten sich unter ihre Decken. Nachdem sie eine heiße Schokolade im Bett getrunken hatten standen sie ganz verschlafen auf und nahmen ein Bad. Und dann machten sie sich bereit für einen Spaziergang durch den Schlossgarten, doch als sie durch die gläsernen Tore blickten, war dort nichts.

Es war kein Garten mehr zu sehen. Er war wie verschwunden.

Stattdessen funkelte und leuchtete dort nur ein warmes Licht, dass den ganzen Innenhof bedeckte. In dem Schloss brach eine Panik aus und schnell schoben alle die Schuld auf den Drachen. Er musste in der Nacht gekommen sein und den ganzen Garten in seinen grässlichen Klauen hinfortgetragen haben. Und zu all dem hat er dann auch noch Feuer in den Burghof gespuckt, was das Licht erklären würde. Am nächsten Morgen zogen alle Ritterinnen und Ritter los zu dem Hort des Drachen. In seiner Schatzkammer zwischen reichlich Gold und Juwelen erwarteten sie auch ihren Garten zu sehen. Nach einem weiten und hügeligen Weg kam der Trupp vor der Höhle des Drachen an. Laut riefen sie in die Höhle hinein und sie spotteten und lachten hämisch, dass der feige Drache nur bei Nacht den Garten stehlen konnte, weil die starken und gut gerüsteten Wachen da schliefen. Da trottete der Drache schnaufend und schnaubend aus der Höhle. Ein paar Funken und Flämmchen stießen ihm aus der Nase. Er war wütend, dass die Menschen ihn aus seinem festen Schlaf geweckt hatten. Doch diese lachten nur weiter, schlugen ihre Schwerter auf ihre Schilde, dass es nur so schepperte und warfen dem Drachen voller Zorn ihre Anschuldigungen an den Kopf. Sie forderten ihren Garten zurück, aber auf der Stelle. Ansonsten, so drohten sie ihm, würden sie all seine Schätze mitnehmen. Und die Dracheneier mit dazu. Doch bevor der Drache überhaupt die Zeit hatte die Ritterinnen und Ritter mit einem furchteinflößenden Grummeln zu verjagen, da kam ein Bote aus dem Schloss angeritten und rief laut jauchzend, dass der Garten wieder da sei. Mit großem Juchee, aber auch einigen ehrlichen Entschuldigungen zog die Menschenmenge wieder zurück in das gläserne Schloss und spazierten im Garten, als ob nie etwas gewesen sei.

Einhundert Jahre später war das Königinnenreich so groß wie eh und je und auch das gläserne Schloss glitzerte wie all die Jahre zuvor. Auch an diesem Morgen sprangen die Bewohnerinnen ganz freudig aus ihren Betten, um in der Küche von den Obstkörben zu naschen. Nachdem sie aus ihren Schränken die schönsten Kleider, Hosen und Jacken gesucht hatten, machten sie sich frisch für den Tag und kleideten sich. Und dann machten sie sich bereit für einen Spaziergang durch den Schlossgarten, doch als sie durch die gläsernen Tore blickten, war dort nichts.

Es war kein Garten mehr zu sehen. Er war wie verschwunden.

Stattdessen leuchtete, funkelte und glimmerte dort nur ein magisches Licht, dass den ganzen Innenhof bedeckte.

In dem Schloss breitete sich eine Unruhe aus und niemand war sich sicher, was es damit auf sich haben möge. Die Bewohnerinnen fingen an sich gegenseitig zu beschuldigen, dass eine jede doch am liebsten den Garten nur für sich alleine hätte. Doch in all diesem Tumult gab es eine Stimme der Vernunft. Eine Frau, die voller Mut alle anderen Bewohnerinnen zur Ruhe aufrief. Sie sollen doch nur einen Tag warten und dann sei alles wieder beim Alten. Aber niemand hatte ein offenes Ohr für sie. Nirgendwo wurde ihren besonnenen Worten Aufmerksamkeit geschenkt und allesamt lachte man sie aus. Und so stritten sich sie Leute. Beim Mittagessen starrte man sich böse und misstrauisch an. In ihren Kammern grübelten die Bewohnerinnen, wer den Garten gestohlen hat und vor allem wie sie es wohl angestellt haben mögen. Am Abend gingen sie sich aus dem Weg, und trafen sich mal zwei auf den Fluren, so wandten sie sich argwöhnisch ab und gingen schnell weiter. Auch in der Nacht konnte niemand in dem Schloss ruhig schlafen. So zogen durch jeden Kopf grausige Vorstellungen in der eine der anderen Burgbewohnerinnen den Garten nur für sich hat und dort tollte und tanzte, während sie selbst grün vor Neid von außerhalb der Schlossmauern zuschauen mussten. Am nächsten Morgen paarte sich die Müdigkeit mit der angestauten Wut und schon bevor das Frühstück serviert war hingen sich alle Bewohnerinnen gegenseitig am Kragen. Doch bevor irgendjemand den Streit zu weit trieb durchdrang ein gellender Schrei den Raum. Als die Astronomin, die auf dem Frühstückstisch stand, endlich die Aufmerksamkeit aller Streithennen hatte, deutete sie durch die gläserne Wand auf den Innenhof. Dort stand wie eh und je der prächtige Garten. Ohne Makel, ohne jegliche Zeichen, dass er je verschwunden war.

Während die anderen sich noch ihre verwunderten Augen rieben erklärte die Astronomin, dass sie in den letzten sieben Jahren, sieben Monaten, sieben Wochen und sieben Tagen in den Himmel geschaut und dort die Planeten beobachtet habe. In vielen Gleichungen und Rechnungen habe sie errechnet, dass auf den Punkt genau alle einhundert Jahre die Planeten so stehen, dass das Sonnenlicht genau auf den Schlossgarten falle und dort in den gläsernen Wänden reflektiere und sich spiegele, dass es nur so funkele und leuchte, wie alle es gerade noch gesehen haben. So verschwinde der Garten geradezu, von einer Mittagssonne zur nächsten, inmitten all dieser Lichtspiegelungen. Da fingen die Bewohnerinnen, die sich eben noch am Kragen hielten, an sich zu umarmen und zu lachen. Und so feiert das Königinnenreich nun alle einhundert Jahre das Fest des verschwundenen Gartens.

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