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Die drei goldenen Groschen


  • Autorenbild: Malte
    Malte
  • 1. Okt. 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Es war einmal eine Bauersfrau, die hatte vier Töchter. Die erste war wunderschön - ihre Haut glich edler Seide. Die zweite war schlau - sie brachte sich das Lesen selbst bei. Die dritte war unglaublich stark - sie konnte zwei volle Mehlsäcke auf einmal tragen. Die letzte Tochter jedoch, ihr Name Melinde, war weder sonderlich schön, aber auch nicht abstoßend. Sie war nicht sehr schlau, aber trotzdem ergiebig am lernen. Und sie war auch nicht sehr stark, aber einen halbvollen Mehlsack trug sie trotzdem jeden Morgen zur Mühle. Damit war sie nicht unglücklich, doch immer wenn sie ihre Schwestern betrachtete wollte sie auch so schön sein und von den Dorfburschen und Mägden angeschmachtet werden. Oder die Bibliothek besuchen und neues über die Landwirtschaft erlernen. Oder sie wollte die Stärke besitzen, um am Ende eines langen Arbeitstages nicht mit schmerzenden Gliedern in ihr Strohbett zu sinken. An dem Feiertag der Volljährigkeit schenkten die Bauersfrau und ihr Mann ihren Kindern drei goldene Groschen, für die sie lange hart gearbeitet und gespart hatten. Die erste Tochter sprach: “Ich verdiene es einen dieser Groschen zu bekommen. Ich werde mir davon ein Kleid kaufen, das mein schönes Gesicht betont und dann werde ich eine rauschende Hochzeit haben.” Die zweite Tochter sprach: “Ich verdiene es einen dieser Groschen zu bekommen. Ich habe mein Leben lang studiert und werde bald durch die Lande ziehen und Bauerntöchter, wie wir es einst waren, unterrichten.”

Die dritte Tochter sprach: “Ich verdiene es einen dieser Groschen zu bekommen. Ich trage mehr Säcke Mehl und schiebe den Karren schneller als je eine tüchtige Frau es konnte. Ich möchte neues Werkzeug kaufen um noch tüchtiger zu sein.” Melinde gestand sich ein, dass sie den Groschen weder für eine Hochzeit brauchte, weil sie ja niemand wollte. Auch durch das Land ziehen und unterrichten konnte sie nicht, weil sie immer noch sehr langsam las. Und sie konnte bei weitem nicht so eine gute Arbeit leisten und so tüchtig sein. Diesen Abend zog Melinde weinend durch die Straßen des Dorfes und verlief sich in den dunkleren und dreckigeren Vierteln. Eine Stimme an der Straßenecke sprach zu ihr: “Mein Kind, was weinst du so bitterlich?”. Es war ein alter Greis. Melinde antwortete: “Ach, meine Schwester ist so schön, dass sie alle verzaubert mit ihrem Liebreiz. Bald wird sie heiraten, aber mich möchte niemand haben.” Da stand dem alten Greis das Mitleid ins Gesicht geschrieben und so machte er ihr ein Angebot: “Ich möchte dir helfen. Du sollst schön und begehrenswert sein. Nur brauche ich dafür einen goldenen Groschen.” Und so ging Melinde zu ihrer ersten Schwester und bat sie um ihren Groschen, der eigentlich für ein prachtvolles Hochzeitskleid angelegt war. Doch ihre Schwester meinte es gut mit ihr und gab ihr den Groschen. Schnell kehrte Melinde bei Sonnenaufgang zu dem alten Greis zurück und überreichte ihm den Groschen. Dieser sprach nur: “Her mit der Münze und jetzt erfüll dir deine Wünsche.”. An diesem Tage strahlte Melinde und streckte ihre Brust weit heraus. Sie stolzierte über den Dorfplatz am Brunnen vorbei und die Sonne glänze in ihren Haaren. Und wie es noch nie geschehen war riefen ihr die Burschen und Mädchen ihr Komplimente und Lobgesänge hinterher. Auf einmal fühlte sie sich so schön und begehrenswert, wie es einst nur ihre Schwester war.


Am nächsten Morgen zog Melinde dennoch besorgt durch die Straßen des Dorfes und verlief sich wieder in den dunkleren und dreckigeren Vierteln. Eine Stimme an der Straßenecke sprach zu ihr: “Mein Kind, was sorgst du dich so sehr?”. Es war der alte Greis. Melinde antwortete: “Ach, meine Schwester ist so schau, dass sie ein Buch nach dem anderen liest und verinnerlicht. Bald wird sie in eine ferne Stadt reisen und dort unterrichten. Ich aber kann mich beim Lesen nicht einmal konzentrieren.” Da stand dem alten Greis das Mitleid ins Gesicht geschrieben und so machte er ihr ein Angebot: “Ich möchte dir helfen. Du sollst schlau und belesen sein. Nur brauche ich dafür einen goldenen Groschen.” Und so ging Melinde zu ihrer zweiten Schwester und bat sie um ihren Groschen, der eigentlich für die Kutschfahrt angelegt war. Doch ihre Schwester meinte es gut mit ihr und gab ihr den Groschen. Schnell kehrte Melinde bei Sonnenaufgang zu dem alten Greis zurück und überreichte ihm den Groschen. Dieser sprach nur: “Her mit der Münze und jetzt erfüll dir deine Wünsche.”.

An diesem Tage fand Melinde ein Buch, als sie sich am Brunnen zur Rast setzte. Sie nahm es interessiert auf und las und las, bis es dunkel wurde und sie die Wörter auf dem Papier nicht mehr lesen konnte. Und in dieser Nacht träumte sie von den fantastischen Geschichten, von denen sie gelesen hatte und erzählte sie am nächsten Morgen euphorisch ihrer Familie. Auf einmal fühlte sie sich so belesen und gebildet, wie es einst nur ihre Schwester war.


Am nächsten Mittag zog Melinde zweifelnd durch die Straßen des Dorfes und verlief sich wieder in den dunkleren und dreckigeren Vierteln.

Eine Stimme an der Straßenecke sprach zu ihr: “Mein Kind, was zweifelst du so sehr? Dir stehen die Falten tief in der Stirn.”. Es war der alte Greis.

Melinde antwortete: “Ach, meine Schwester ist so stark, dass sie die Arbeit in der Mühle so sehr vorantreibt. Aber heute ist sie krank und mein Vater hat mich gebeten heute alle Mehlsäcke mit dem Karren zu fahren und auszuliefern. Wie soll ich das nur schaffen?” Da stand dem alten Greis das Mitleid ins Gesicht geschrieben und so machte er ihr ein Angebot: “Ich möchte dir helfen. Du sollst stark und tüchtig sein. Nur brauche ich dafür einen goldenen Groschen.” Und so ging Melinde zu ihrer dritten Schwester und bat sie um ihren Groschen, der eigentlich für neues Werkzeug und Jutesäcke angelegt war. Doch ihre Schwester meinte es gut mit ihr und gab ihr den Groschen.

Schnell kehrte Melinde bei Sonnenaufgang zu dem alten Greis zurück und überreichte ihm den Groschen. Dieser sprach nur: “Her mit der Münze und jetzt erfüll dir deine Wünsche.”.

An diesem Tage lief Melinde mit einem breiten Kreuz und einem starken Blick durch die Stadt. Sie schob den Karren, sie trug das Mehl. Und auch wenn es zehrte, so fühlte sie sich stark und tüchtig. So stark und tüchtig, wie es einst nur ihre Schwester war. Ihre Schwester sahen wie schön, wie schau und wie stark Melinde doch war. Und vor allem sahen sie, wie glücklich sie war und so trauerten sie den Groschen nicht hinterher.

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