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Löffel

  • Autorenbild: Malte
    Malte
  • 22. Apr. 2020
  • 2 Min. Lesezeit

Ein kleiner Flick mit dem Zeigefingerknöchel lässt warmes Wasser in das Waschbecken fließen, wo es sich dann mit dem Spülmittel zu einem schaumigen Bad vermischt.

Inmitten des dreckigen Ozeans und zwischen den Schauminseln verbergen sich zahlreiche Teller, Schüsseln, Tassen, Gläser, Gabeln, Messer und Löffel.

Nachdem sich all die nun versunkenen Schätze tagelang in der Spüle gesammelt haben, überfiel mich heute dieses unwohle Gefühl, dass alles viel zu voll und dreckig ist. Dieses Empfinden, als würde mein Körper alles abstoßen und sich unglaublich fehl am Platz fühlen.

Wenn der Boden ewig nicht gesaugt wurde, die Flecken des missglückten Kochversuchs auf den Schränken schon eingetrocknet sind oder die Spüle zu klein für all das sich stapelnde Geschirr ist, dann zieht sich alles in mir zusammen und es baut sich dieser Druck und dieses miserable Elend in mir auf.

Diese Grenze wurde heute eindeutig überschritten und nun stehe ich mehr oder weniger willig mit nassen Händen in der Küche und bekämpfe das Chaos.

Es ist so bereinigend. Also auch für das Besteck und die Teller. Aber vor allem für meine innere Seelenruhe.

Als ich dann endlich die letzten Löffel durch das Geschirrtuch ziehe und trocken in die Besteckschublade einordne kann ich nach diesen tagelangen Qualen endlich wieder durchatmen.


Dann streift ein Gedanke wie ein Komet meinen Kopf.

Warum haben wir eigentlich so viele Löffel in unserer Besteckschublade?

Ich wohne mit meinem Mitbewohner zu zweit in einer kleinen, gemütlichen Wohnung.

In der Schublade liegen 23 Esslöffel.

So wie ich meinen Mitbewohner kenne hat er noch eine Schale mit Löffel in seinem Zimmer stehen, also wahrscheinlich 24 Löffel. Wir könnten beide unsere gesamte in Berlin lebende Familie einladen und selbst wenn wir zwei riesige Töpfe voll Suppe machen oder der Pudding zum Nachtisch auch mit großen Happen gegessen werden soll, dann würden es all die Menschen mit ihrem beidhändigen löffeln nicht schaffen unsere Esslöffelvorräte auch nur annähernd ans Limit zu bringen.

Warum haben wir 23 Löffel in der Schublade?

Selbst wenn wir faul sind und tagelang nicht abwaschen, Freunde einladen oder für die leckere Kartoffelsuppe nach dem aufwärmen immer wieder einen neuen Löffel nehmen, dann sind das immer noch nur maximal 10 Esslöffel, die auf den Abwasch warten.

Ich habe das Gefühl, dass dieser Esslöffelüberfluss ein echtes Problem ist und metaphorisch für viel tiefer liegende Probleme steht. Für die Faulheit, dass wir es uns leisten könnten sicher zwei Wochen nicht abzuwaschen, weil wir ja immer noch mehr saubere Löffel haben.

Für die Habsucht, all diese Löffel zu besitzen und nichts mit ihnen zu machen. Für die Frechheit, dass wir diese Löffel horten, obwohl es bestimmt Menschen gibt, die gerne ein paar mehr Löffel hätten. … oder vielleicht gibt es ja einfach viel zu viele Löffel auf dieser Erde und die hinterlistige Bestecklobby drückt uns mehr und mehr Löffel in den Rachen.

Meine Gedanken schweiften fern, fern ab, sodass ich bei Überlegungen zum Überfluss nicht merkte wie das Wasser in der Spüle überfloss und so wurden meine Füße nass.

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